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Stille Heldinnen der Pressefreiheit

Siebenpfeiffer-Preis geht an Journalistinnen aus der Ukraine, Belarus und Russland

19.11.2022

Die ukrainische Journalistin Katerina Sergatskova legt eine schusssichere Weste an. Wenig später steht sie in einer zerschossenen Wohnung zwischen Scherben und sagt: „Die Leute, die hier wohnten, hatten keine Chance“. Es ist diese Art der Berichterstattung, die ihr Online-Medium Zaborona zu einer verlässlichen, unerschrockenen Stimme im ukrainischen Journalismus gemacht hat. Gemeinsam mit Roman Stepanovych hat Katerina Sergatskova 2017 Zaborona gegründet. Ein kritisches Medium gerade auch gegenüber der eigenen Regierung, mit Berichten über Korruption oder Menschenrechtsthemen. Außerdem hat Sergatskova über Rechtsextremismus berichtet. Zaborona war auch angetreten, marginalisierten Gruppen wie Geflüchteten oder Menschen der LGBTIQ*-Community eine Stimme zu geben. Doch mit Beginn des Krieges wurden sie alle plötzlich ungewollt zu Kriegsberichterstattern und -korrespondentinnen. Das wirft Fragen und Probleme auf, da allzu kritische Berichte und Informationen in einem Krieg ja immer auch der Gegenseite dienen könnten. Ein Balanceakt auf ungewohntem Terrain, wie die Zaborona-Journalistin Vseslava Soloviova schon im DJV-Blickpunkt beschrieben hat. Doch die Plattform will weiterhin unabhängig bleiben – inhaltlich, politisch und finanziell. Für ihre Haltung, ihr kompromissloses Einstehen für Pressefreiheit und nicht zuletzt für die persönlichen Risiken, die sie bei Zaborona eingehen, hat diese Online-Plattform den Siebenpfeiffer-Preis 2022 bekommen.

Für diese Auszeichnung im Namen der Pressefreiheit gab es diesmal zwei weitere Preisträgerinnen: Ljubou Kaspjarowitsch aus Belarus und Marfa Smirnova aus Russland, die beide inzwischen im Exil leben und für ihre klare journalistische Haltung große Nachteile in Kauf nehmen mussten. Ljubou Kaspjarowitsch berührte viele im Publikum mit ihrer eindringlichen Schilderung ihrer 15 Tage im Gefängnis, nachdem sie über Teilnehmende an den Protesten gegen das Regime in Minsk berichtet hatte. Sie widmete ihren Preis den 32 weiteren Kolleginnen, die noch in Haft sind, nur weil sie ihren Beruf ausübten. „Ich bin nur eine Journalistin, keine Prominente, keine Politikerin,“ sagte sie. „Das einzige, was ich tun kann, ist, die Wahrheit zu benennen: Lüge für Lüge, Freiheit für Freiheit. Krieg für Krieg. Gesetz für Gesetz.“

Ukraine, Belarus, Russland – wie beim Friedensnobelpreis

Die Fernsehjournalistin Marfa Smirnova zeichnete das Bild eines Russlands, ihres Russlands, das ein anderes Land ist als das „offizielle“. Sie sei nicht bereit, ihren russischen Pass zu verbrennen, aber sie schäme sich für das, was gegenwärtig in ihrer Heimat im Namen eines falschen Patriotismus geschehe. „Ich wünschte, Russen würden ihr Land so lieben, wie die Ukrainer ihres lieben,“ sagte sie unter großem Applaus. Und in dem Moment waren auch ukrainische Journalistinnen im Saal voller Respekt – keine Selbstverständlichkeit angesichts der Spannungen, die es anderswo selbst zwischen regimekritischen russischen und ukrainischen Medienschaffenden gibt. Marfa Smirnova hatte für den letzten noch freien Sender TV Doschd gearbeitet, der angesichts der sich zuspitzenden Lage seinen Betrieb einstellte – mit einem eindrucksvollen Statement live auf Sendung mit vielen Mitarbeitenden im Studio, wie auch der Film von Tobias Seeger vom Saarländischen Rundfunk zeigte, der bei der Preisverleihung eingespielt wurde, und in dem auch die eingangs beschriebene Szene in der Ukraine vorkam.

Dem Team der Siebenpfeiffer-Stiftung um Martin Baus und Beate Ruffing war es tatsächlich gelungen, alle Preisträgerinnen auch unter schwierigen Bedingungen zum Veranstaltungsort zu bringen. Und die Jury unter Vorsitz von Martin Grasmück, Intendant des Saarländischen Rundfunks, hatte sich früh einen Ruck gegeben, um andere Bewerbungen und Ideen beiseitezulegen. Schnell ging die Diskussion innerhalb der Jury in Richtung einer ausgewogenen Vergabe mit Preisträgerinnen aus den drei Ländern Ukraine, Belarus und Russland – übrigens lange, bevor eine ähnliche Konstellation beim Friedensnobelpreis verkündet wurde.

Russland ein „Imperium der Lüge“

Einen geeigneteren Laudator hätte die Stiftung kaum finden können: Den Fernsehjournalisten Udo Lielischkies, der langjähriger Leiter des ARD-Studios Moskau war. Auch Lielischkies hatte in seiner pointierten Laudatio keine Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen: Das Russland von heute skizzierte er als ein Land, das Putin in 22 Jahren „in ein Imperium der Lüge verwandelt“ habe. Laut einer Studie habe weniger als ein Zehntel der Bevölkerung dort noch Zugang zu unabhängigen Medien. Vielleicht auch deshalb der fehlende breitere Rückhalt in der Bevölkerung trotz einiger tausend Teilnehmender, den Lielischkies den Demonstrationen um den Regimekritiker Alexej Nawalny attestierte. Ähnlich wie Philipp Jakob Siebenpfeiffer vor 190 Jahren bei den Kundgebungen für Pressefreiheit in der Pfalz und anderswo. Siebenpfeiffer, der auch Mitglied des ersten Journalistenvereins von 1832 war, organisierte im selben Jahr das Hambacher Fest mit, das als Wegmarke für Einheit und Freiheit in die Geschichte einging. Beides – Fest und Verein – war in der Zeit zwischen Revolution und Restauration eigentlich verboten.

Und heute? Seien die „stillen Helden“, wie Lielischkies sie nennt, die einzige Hoffnung. „Mit dem Siebenpfeiffer-Preis können wir wenigstens einigen dieser stillen Helden ein Gesicht und eine Stimme geben,“ sagte er bei seiner Laudatio.

            Würde Siebenpfeiffer „Slava Ukraini“ rufen?

„Der Krieg ist der natürliche Feind der Demokratie und der Pressefreiheit,“ sagte Marold Wosnitza, Oberbürgermeister der Stadt Zweibücken, in deren Festhalle die Preisverleihung stattfand. „Es ist wichtig, dass es mutige Journalistinnen und Journalisten gibt, die berichten und dokumentieren,“ fügte Theophil Gallo hinzu, der als Landrat des Saar-Pfalz-Kreises ein Bündnis von Regionen für Frieden und Zusammenhalt in Europa geknüpft hat.

Namensgeber Philipp Jakob Siebenpfeiffer, Vorkämpfer der Pressefreiheit im Vormärz im 19. Jahrhundert, hätte seine wahre Freude an dem Mut der Preisträger gehabt, sagte Gallo, der als Landrat auch Vorsitzender der Siebenpfeiffer-Stiftung ist.

Die Stiftung wird getragen von mehreren Städten, Landkreisen und Institutionen der Regionen, in denen Siebenpfeiffer wirkte, wie auch von den DJV-Landesverbänden Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Auch der DJV Thüringen war bei der Gründung dabei. Der Preis wird seit 1987 meist alle zwei Jahre vergeben. Zuletzt wurden damit die ARD-Journalistin Anja Reschke, der türkische Exil-Journalist Can Dündar oder der Investigativjournalist Glenn Greenwald geehrt.

Die heutigen Hauptpreisträger von Zaborona kümmern sich nicht nur um eine aufgeklärte und aufklärende Berichterstattung, sondern teilen ihr Material und haben auch noch einen Fonds aufgesetzt, um andere Medien etwa mit schusssicheren Westen zu unterstützen, auch freiberufliche Journalist*innen. Und doch sind sie bescheiden genug, um nicht sich selbst mutig zu nennen, sondern „die Taxifahrer von gestern“ und all die Menschen aus anderen Berufen, die zu Soldaten wurden, wie Zaborona-Mitgründer Roman Stepanovych bei seiner Rede sagte. Und für die Medien gelte: Es gebe keinen Journalismus mehr, der nicht Kriegsberichterstattung sei.

Text & Fotos: Markus Pfalzgraf

Weiterführende Links:

https://www.djv-bawue.de/2022/07/13/in-diesem-krieg-zeigt-sich-was-wir-k%C3%B6nnen/

https://www.sr.de/sr/home/kultur/siebenpfeiffer_preis_zaborana_100.html

https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=121436&startvid=1

https://www.saarbruecker-zeitung.de/pm/zweibruecken/siebenpfeiffer-preise-fuer-osteuropaeische-journalisten_aid-79873759

https://www.rheinpfalz.de/lokal/zweibruecken_artikel,-siebenpfeiffer-preis-f%C3%BCr-mutige-journalisten-aus-osteuropa-_arid,5429747.html

Link Siebenpfeiffer

http://siebenpfeiffer-stiftung.de/wordpress/philipp-jakob-siebenpfeiffer/

http://siebenpfeiffer-stiftung.de/wordpress/siebenpfeiffer-preis/

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