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Intern. Tag der Pressefreiheit

In Kriegszeiten gibt es keine Formel für Pressefreiheit

03.05.2022

Wafa Sbeih ist Jahrgang 1967 und stammt aus Latakia in Syrien. Sie studierte Journalistik an der Universität Damaskus. Nach dem Master 1992 war sie für verschiedene syrische und arabische Medien tätig. Seit 2015 lebt Wafa Sbeih in Deutschland. Nach Jahren des Zweifelns möchte sie nun wieder journalistisch tätig sein, in deutscher Sprache und auch für ein deutsches Publikum. Wir vom SJV unterstützen sie dabei – mit einem speziellen Mentoring.

Syrische Medien – eine Reihe von Niederlagen und Katastrophen

Eine Ewigkeit lebte ich im Schatten allgemein geschätzter Werte wie Patriotismus, Bürgerrechte und Brüderlichkeit. Nach dem ersten Aufeinanderprallen mit anderen Positionen, habe ich merken müssen, dass jene Werte doch erkranken, altern und dem Tode geweiht werden können. Nach der Blutprüfung sind wir alle durchgefallen.

Im Nahen Osten erinnert sich kaum ein Journalist, eine Journalistin an den 3. Mai, ihren eigenen Tag, den Tag der Pressefreiheit. Denn wir haben nie ein freies, stabiles und erwünschtes friedliches Umfeld erlebt – wie etwa die Kollegen und Kolleginnen in Europa oder Nordamerika. An dieser Stelle möchte ich einen Olivenzweig überreichen an all die Journalisten und Journalistinnen, die Ihr Leben geopfert haben.

Als eine vom Winde des Krieges nach Deutschland gewehte Journalistin, versuche ich mich daran, ein heikles und kompliziertes Thema (Meinungs- und Pressefreiheit in Syrien) zu skizzieren.

Ein kurzer Überblick

Je nach regionaler oder internationaler politischer und historischer Lage hat die Presse in Syrien jeweils komplexe Phasen durchlaufen.

Syrien war historisch eines der ersten Länder in der arabischen Welt, in dem sich die Printpresse verbreitet hat. Die erste syrische Printzeitschrift „Sammlung der Nutzen“ ist bereits 1851 erschienen. Daraufhin wurde das erste Publikationsgesetz 1865 verabschiedet.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlebte die Presse eine regelrechte Revolution. Frau Mary Ajami gab 1910 die erste Zeitschrift, die sich mit Frauenrechten im Nahen Osten befasste: „Die Braut“. 1920 erreichte die Anzahl der Veröffentlichungen 31 Zeitungen und 24 Zeitschriften, und diese Pressedynamik setzte sich bis in Phase nach der Unabhängigkeit 1947 fort. Im Jahr 1949 wurde ein neues Publikationsgesetz durchgesetzt, dabei wurden die Einschränkungen der unabhängigen und der staatlich kontrollierten Presse aufgehoben. 1958 wurde die syrisch-ägyptische Union gegründet. Da nach der Meinung der Gründer die Einheit zweier arabischer Länder wichtiger war als demokratische Institutionen, fielen die politischen Parteien, das Parlament und die Presse dieser Union zum Opfer. Die Meinungs- und die Pressefreiheit erlitten einen harten Schlag. Doch diese Union währte nicht lang und löste sich bereits 1961 auf.

Zwischen 1961 und 1963 gewann die syrische Presse einiges ihrer Vitalität zurück. Doch die Blätter, die sich gegen die Auflösung gestellt hatten, blieben verboten. Nachdem die Baath-Partei 1963 die Macht an sich gerissen und der Ausnahmezustand ausgerufen worden war, wurden die Lizenzen der Zeitungen, die gegen die Auflösung geschrieben hatten, ausgesetzt. Das wurde mit der Berücksichtigung der instabilen politischen Situation, der Militärputsche nach der Unabhängigkeit Syriens von Frankreich und dem „arabisch-israelischen Konflikt“ begründet. Trotzdem wurde die Syrische Nachrichtenagentur, SANA, 1965 gegründet.

Ab 2000 sind die syrischen Medien und Syrien in eine neue Phase der politischen und wirtschaftlichen Öffnung eingetreten. So entstanden einige unabhängige Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsender. Da der Wettbewerb mit privaten Medien stärker wurde, wurde der Raum für Freiheiten selbst in den staatlich kontrollierten Medien weiter ausgedehnt. Die Online-Medien begannen, einen guten Raum einzunehmen. Aber das währte nicht lange. 2004 geriet Syrien wieder in politische Probleme, mit dem Nachbarland Libanon, in den blutigen Juli-Krieg mit Israel und dann in einen Krieg auf seinem Territorium, der als einer der schlimmsten und katastrophalsten Kriege im Nahen Osten eingestuft wird – den unvorstellbaren Bürgerkrieg.

Syrische Medien während des Krieges

Der lokale, regionale, internationale Krieg auf dem Territorium Syriens, den viele als „Stellvertreterkrieg“ bezeichnen, ist 2011 eher unerwartet in Syrien ausgebrochen, nach einer Reihe von arabischen Revolutionen unter dem Motto „Arabischer Frühling“ auf der Suche nach Freiheit. Die tiefere Interpretation des Arabischen Frühlings kann mit den Worten von Frau Condoleeza Rice wiedergegeben werden: „Kreatives Chaos im Nahen Osten“.

Seit Beginn der Volksproteste im März 2011 hatte der Staat die Nachrichten in den staatlichen Medien im Griff. Ausländischen Journalisten war die Einreise in das Land verboten. Ausgenommen waren diejenigen, die mit einer Sondergenehmigung des Medienministeriums einreisen durften, z.B. Kolleginnen und Kollegen, die für die BBC arbeiten.

Auch die Freiheit der syrischen Medien stand vor einem schicksalhaften Schlag, der in eine ideologische Sackgasse führen sollte. Die Geldgeber wollte eigene politische Einsichten durchsetzen.

In dieser Zeit nahmen Gewalt und Gegengewalt zu: Auf der einen Seite der syrische Staat und seine Verbündeten und auf der anderen Seite die ISIS - deren Anhänger aus der ganzen Welt nach Syrien stürmten -, die von den Golfstaaten, der Türkei, Jordanien unterstützten Rebellen und die von den USA im Nordosten Syriens unterstützten Kurden. Hier schlug die Stunde der „Kriegskorrespondenten“. Je brutaler der Krieg wurde, desto intensiver wurde der Medienkrieg. In Kriegszeiten gibt es keine Formel für Medienfreiheit.

Syrische Journalisten und Journalistinnen wurden Opfer von Attentaten, Verfolgungsjagden und Inhaftierungen. Laut Statistiken von „Reporter ohne Grenzen“ wurden seit März 2011 mindestens 110 Medienschaffende in Ausübung ihres Berufs getötet, fast 60 wurden inhaftiert bzw. gelten als verschollen.

Ein Bild von einem Chaos

Einige arabische Führer hegten in die von Ihnen geschaffene, bewaffnete Opposition eigene Ambitionen. Diese Opposition hieß seinerzeit die Freie Syrische Armee. Aus dieser Fraktion schlüpften radikale Gruppierungen, die beschlossen, jeden Beamten zu liquidieren, weil er Verräter sei, und in diesem Zusammenhang rekrutierten sie ihre eigenen Medien, um ihre politische Rechnung mit der syrischen Regierung zu begleichen. Hier ist die Erklärung des Außenministers von Katar, Herrn Hamad bin Jassim, zu erwähnen: „Syrien war der Kuchen, der geteilt werden sollte. Wir sind daran gescheitert.“

Die Medienfreiheit wurde Jedermanns Spiel. Ihr widerfuhr eine düstere, getrübte Welle von unwiderruflichen Rückschlägen. Es wurden neu erfundene Maßstäbe in Bezug auf Religion oder Ethnie gesetzt. Angehörige des sunnitischen Islam wurden bevorzugt. Und wenn Gegner des Regimes anderen Minderheiten zugehörten, so wurde ihre Loyalität gegenüber der so genannten „Revolution“ in Frage gestellt.

Viele ungebildete junge Menschen standen plötzlich vor und hinter den Kameras der arabischen Kanäle, um die Ereignisse in Syrien zu übertragen. Sie wurden als „Augenzeugen“, „Medienaktivisten“ etc. bezeichnet. Sie wurden von den arabischen Sendern ausgenutzt und in Schnellkursen ausgebildet. So entstanden im Ausland die sogenannten „alternativen Medien“, welche die Medienlandschaft noch tiefer in Verwirrung brachten.

Viele syrische Journalisten bei den alternativen Medien verfügten nicht über die Werkzeuge und die nötige Professionalität, so schätzte es einer der Verfasser der Ehrencharta für syrische Medien in der Türkei ein, weshalb sie, so argumentierte er weiter, „die Selbstdisziplin nicht beherrschen und sich an die moralische Dimension des Berufs nicht halten. Sie sind also unreife Projekte, die der syrischen Medienlandschaft eher schaden als nützen.“ Sie bräuchten deshalb einen Ehrenkodex, um eine angemessene interaktive Beziehung zwischen den Medien und der Öffentlichkeit herzustellen.

Meine persönliche Einschätzung

Was in Syrien am deutlichsten war, ist die Selbstzufriedenheit der syrischen Medienmacher. Im Vergleich zu den arabischen Medien, die trotz ihrer mächtigen Finanzen kaum Raum für Freiheit zuließen, hatten syrische Journalisten und Journalistinnen die Möglichkeit, ihre partielle Freiheit intelligent auszunutzen, um einen kleinen Raum für die Pressefreiheit zu schaffen.

Während meiner 17 Jahre in der syrischen Medienlandschaft, bei einer der wichtigsten Regierungszeitungen, stand ich nicht vor der Prüfung zwischen meiner Professionalität und der Berufsethik. Nicht, weil mir die Tore der Freiheiten weit offenstanden, sondern weil ich die Möglichkeit hatte, meine Worte und Formulierungen so zu wählen, dass ich die Botschaft senden konnte, die ich senden wollte. Aber der katastrophale Krieg nahm uns Journalistinnen und Journalisten gefangen: Wir wurden Gefangene der Worte und der Stimmung im Inland und Gefangene der Entfremdung und des Identitätsverlusts im Ausland.

Ich habe erlebt, wie mutig Kollegen und Kolleginnen für ihre Überzeugungen einstanden, aber auch, wie sie durch die Hände der Barbaren unserer Zeit, der radikalen Gruppierungen, ermordet wurden. An solchen Orten und zu solchen Zeiten ist es nicht leicht, als Journalistin zu arbeiten und dem sicheren Tod zu entkommen.

Wafa Sbeih

Saarland News
Landesverband Saarland