Wafa Sbeihs Kolumne
Geschichte eines Gemäldes
Wafa Sbeih ist Jahrgang 1967 und stammt aus Latakia in Syrien. Sie hat Journalistik an der Universität Damaskus studiert und war nach dem Master 1992 für verschiedene syrische und arabische Medien tätig. Seit 2015 lebt Wafa Sbeih in Deutschland. Nach Jahren des Zweifelns möchte sie nun wieder journalistisch tätig sein, in deutscher Sprache und auch für ein deutsches Publikum. Wir vom SJV unterstützen sie dabei – mit einem speziellen Mentoring. Und mit einer monatlichen Kolumne für die SJV-Homepage und unseren Newsletter.
Diese tragische, oft von Krisen und Kriegen geplagte Welt, wird oft von Bildern begleitet, die den (Un)Sinn dieser Krisen und Kriege vermitteln. Während sich globale Ereignisse beschleunigen, erreichen uns diese Bilder in verschiedenen Formen von Kunst, Literatur oder Berichterstattung. Und in diesem Zusammenhang lenken sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Wir haben hier mit einem neuen Guernica außerhalb der Grenzen Spaniens zu tun. Ein Gemälde aus der Levante!
Bilder und Geschichten
Die Geschichte eines einzigen Gemäldes hervorzuheben, ist unfair. Denn damit wird die übrige Kunstszene in Syrien marginalisiert, eine Szene von langer Dauer, mit zahlreichen Schulen und Künstlern. Dennoch begnüge ich mich hier mit einem in mir tief verwurzeltem Gemälde.
An einem schicksalhaften Tag in Syrien, einem Tag aus Gewalt, Raketen, Blutfließen und Tod, der mit gewohnten Fragen nach dem Überleben und Befinden endete, erhielt ich zum Abschied ein Gemälde des syrischen Künstlers Zuhair Hassib mit dem Titel "Versinken Syriens“.
Man könnte sich aus dem Titel vieles über Form, Maß und vielleicht auch Inhalt des Gemäldes erdichten. Aber man ist nicht imstande, die Perspektive des Künstlers und seine Kompetenz zur Darstellung von Realität und humanen Situationen darzustellen, wenn man den wahren Hintergrund des Künstlers nicht kennt. Das „Versinken Syriens“ war über viele Jahre mein Begleiter, der die ehrlichen und transparenten Reflexionen und Effekte zeigte, die der Künstler auf einer Fläche aus Stoff festhielt.
Hassib ist ein viel besprochener Künstler, der einen tiefen Einfluss auf die syrische Kunstszene hinterlässt und Kontroversen hervorruft. Die außergewöhnlichen Farben, die Techniken, die plastische, dramatische Inszenierung der Bewegung der Frauen und der expressive Ausdruck der Gesichter gestalten die Harmonie in dem Raum und zwischen den intensiven Farben seines Werks. Wasserfarben und Frauen. Frauen, weil sie die größten Verliererinnen in dieser grauen Welt sind, der Welt der Kriege.
„Syriens Frauen und Kinder sind ab heute in deinen Händen“, sagte Hassib, als er mir das Gemälde überließ. Ab jetzt wurden sie ein Vermächtnis und ein Wegbegleiter.
Mein Sitznachbar im Flugzeug konnte das Gemälde in der langen Rolle nicht ins Gepäckfach einräumen. Der nette Engländer hat es auf dem langen Flug in Arme gehalten und sagte mir bei der Ankunft: „Bitte schön, ihr Gebetsteppich“. Ich lachte herzlich und bedanke mich: „Ja, Sie haben recht. Es ist ein Gebetsteppich“.
Zu einer Konferenz in Spanien nahm ich das Gemälde mit. Der Koordinator sagte mir: „Wenn Sie beten möchten, haben wir einen Gebetsraum“. In dem Moment verstand ich nicht, warum er mit seinem Daumen auf den sichtbaren Teil des Gemäldes in der Rolle zeigte. Also es ist ein Gebetsteppich!
An einem Grenzübergang wollte der Grenzpolizist wissen, was ich auf dem Rücken trage. Ich sagte ihm, dass das bloß ein Gemälde ist. Er konnte es mir nicht glauben. Er wollte den Inhalt der Rolle überprüfen und schaute sich dann das Gemälde an. Ich hatte es eilig, aber er begann mit weit aufgerissenen Augen ein anstrengendes Gespräch. Aus dem ich folgendes zitiere:
„Ist das Gemälde zu verkaufen?“, fragte er.
Ich: „Nein. Und ich bin in Eile“
„Und warum?“, fragte er gelassen, „In einem anderen Fall, hätte ich Sie nicht passieren lassen, bevor ich das Bild bekommen habe“.
Ich sagte ihm: „Das ist eine syrische Ikone. Ihnen, und vielleicht auch vielen anderen, würde sie nichts bedeuten. Was sie mir abnehmen möchten, ist ein Abschnitt der Geschichte meines Landes, die Geschichte eines Landes, das einmal die Wiege der Zivilisationen war, aber heute ein Mekka für Kriegstreiber und Hyänen ist. Dies ist die Geschichte von Müttern, welche Die Särge ihrer Kinder tragen. Gehört es sich etwa, dass Sie Särge an Ihrer Wand ausstellen?“
„Nein“, sagte er, „aber es ist so schön und hier haben wir einen anderen Sinn für Schönheit“.
Da sagte ich: „Also bitte!“
Nach einer langwierigen Diskussion wünschte er mir einen guten Aufenthalt. Ich warf einen misstrauischen Blick auf die Rolle in seiner Hand. Dann bat ich: „Und das Gemälde!“. Er sagte: „Nehmen Sie es!“ und fügte mit einem sarkastischen Lächeln hinzu: „Vielleicht gibt es Ihnen einen Funken Leben“.
Mich kümmerte der bemitleidende Blick nicht, mich interessierte nur, dass ich meine Ikone behalten habe.
Hoffnung ist ein Bedürfnis für Völker, die unter Kriegen und ihren Konsequenzen, wie Armut, Elend, den langsamen Tod, leiden. Und je intensiver sie leiden, desto notwendiger wird die der Kunst innewohnende Ästhetik.
Es stimmt! Ein Gemälde kann eine kritische Realität mit schwierigem, oft auch tödlichem Ausgang, darstellen. Wäre nicht seine Leidenschaft für erhoffte Gerechtigkeit, hätte Picasso keine Blume in die Hand des Gefallenen gesteckt. Hassibs dramatische und gleichwohl humanistisch-expressionistische Kunst drückt durch Farben und Windungen der Körper und der Massen dieselbe Symbolik der Hoffnung, auch wenn der Hintergrund schwammig erscheinen mag.
Jedes Volk hat eigene Elegien und Ikonen
Wenn die Kunst anderer Völker das Glück hat, in berühmten Museen dieser Welt aus- und aufgestellt zu werden, so hat das „Versinken Syriens“ diese Chance noch nicht gefunden. Es ist noch immer in einer Schatulle und wartet darauf, das Licht der Welt zu erblicken.
Hier zitiere ich Victor Basch zitieren : „Wenn wir die Dinge anschauen, verleihen wir ihnen einen wesentlichen Teil unseres Daseins.“
Dieses Gemälde ist eines dieser Dinge.
Wafa Sbeih