Wafa Sbeihs Kolumne
Burkini willkommen?!
Den neuen Lebensbedingungen in Deutschland ist es zu verdanken, dass ich einmal einer Gruppe syrischer Frauen aus verschiedenen sozialen und kulturellen Verhältnissen in einer Saarbrücker Nähwerkstatt begegnete. Hier, in diesem kleinen, beengten Raum war es unvermeidlich, sofort miteinander ins Gespräch zu kommen.
Gerade sprach eine Muslima über ihre Tochter. Die 15-Jährige wollte sehr gerne mit den anderen Schülerinnen schwimmen lernen. Die Mutter, die selbst aus familiären, sozialen und religiösen Gründen nie schwimmen lernen durfte, sagte, sie gönne ihrer Tochter, worauf sie selbst Zeit ihres Lebens verzichten musste. Unter einer Voraussetzung würde sie der Tochter erlauben, am Schwimmunterricht teilzunehmen: mit der angemessenen Kleidung, einem sogenannten „Burkini“ - hierzulande noch ein exotisches Wort. Und vor allem ein Streitthema.
Wikipedia erklärt den Burkini als „zweiteilige Badebekleidung für Frauen, die den gesamten Körper mit Ausnahme des Gesichts, der Hände und der Füße bedeckt.“
Der Ganzkörperanzug hat so viele Vorteile, meinten die anderen Frauen in der Gruppe. So bleibt der Körper vor der Sonne, vor dem Chlorwasser und vor fremden Blicken geschützt. Deshalb ist das Tragen des Burkini in der islamischen Gesellschaft selbstverständlich. Im Koran gibt es allerdings keine Vorschriften dazu.
Ich glaube, dass jede Mutter möchte, dass es ihrer Tochter besser geht. Safa, eine andere Frau aus der Gruppe, berichtete, dass es noch kaum Burkini-Geschäfte im Saarland gibt. Deswegen will sie sich nach einem Burkini für ihre Tochter in Lothringen umschauen.
Safa ließ mich das Ausmaß des Leidens muslimischer Frauen im Exil spüren. Tag für Tag leben sie im Konflikt zwischen den vertrauten Traditionen der Heimat und den neuen Herausforderungen in der Fremde.
Als am 16. Mai die Nachricht kam, die französische Stadt Grenoble erlaube muslimischen Frauen in öffentlichen Bädern Burkini zu tragen, freuten wir uns sehr, sagte Safa. Wir fanden in der Neuigkeit eine Inspiration für unsere Anstrengungen, unser privates Leben so zu führen, wie wir es uns wünschen. Nach dem Jubel aber kam der Schock: Die Verwaltung von Grenoble hatte die Erlaubnis Ende Mai wieder zurückgenommen. Auch dort werden Burkini-Trägerinnen nach wie vor belächelt, verspottet, diskriminiert.
Ich selbst bin heute über fünfzig und kann nicht schwimmen. Das bedauere ich sehr. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mir immer wieder Badeanzüge (!) gekauft hat und ich sie abgelehnt habe, weil ich ein schüchternes Kind war.
Wie traurig war ich damals, als ich meine Schwestern und Cousinen im Meer herumtollen sah, während ich alleine am Strand saß. Für mich ist Schwimmen bis heute ein Traum geblieben.
Und ich bin entsetzt, dass die Burkini-Debatte in Deutschland Mädchen heute immer noch verunsichert und sie daran hindert, schwimmen zu lernen.
Vor kurzem habe ich gelesen, dass die Menschen in Deutschland nicht immer so freizügig waren wie heute. Bis in die 1920er Jahre gingen Frauen hierzulande nur schwimmen, wenn sie von Kopf bis Fuß bedeckt waren. Was früher abgelehnt, bekämpft oder verboten war, ist heute Teil der Kultur. Staatsformen ändern sich. Moralvorstellungen auch.
Ob die Frauen aus der Saarbrücker Nähgruppe die Ganzkörper-Badeanzüge für sich und ihre Familien selbst schneidern werden, weiß ich nicht. Ich hoffe aber von ganzem Herzen, dass der Burkini demnächst selbstverständlich und weltweit willkommen ist.