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Persönliches Tagebuch der SJV-Vorsitzenden

Beeindruckend und bewegend - Begegnungen mit Glenn Greenwald

20.03.2015

Die Woche, die sich gerade dem Ende neigt, hat es in sich.  Als klar ist, dass die Verleihung des Siebenpfeiffer-Preises an Glenn Greenwald am 15. März stattfindet, also am Schlusstag der Buchmesse, plane ich schnell um und verkürze meinen Einsatz in Leipzig. Als der Preisträger sich bereit erklärt hat, sich am Vorabend schon im kleinen Kreis zu treffen und ich die Chance habe, dabei zu sein, tausche ich das Bahnticket gegen einen Mietwagen, weil ich es sonst einfach nicht schaffe. Es ist Stress pur, aber es lohnt sich!


Foto: Ulli Wagner

Der Jetlag ist dem Juristen und Journalisten deutlich anzusehen und anfangs auch ein bisschen die Unsicherheit: auf wen treffe ich hier, wer sind diese Siebenpfeiffer-Leute? Aber das legt sich schnell und es ist die reine Freude, mit anzusehen, wie für den schwer erkrankten Clemens Lindemann ein Traum in Erfüllung geht und die beiden ins Gespräch kommen – an kritischen Stellen unterstützt von der Englisch-Lehrerin Uli Bossung aus Homburg und David Lindemann, der für die nächsten Tage auch Greenwalds persönlicher Gästeführer und Begleiter ist.

Der Snowden-Vertraute stellt Fragen über Siebenpfeiffer und die Hambacher, ist erstaunt darüber, wie schnell wir ihn Luxemburg, Paris und Straßburg sind, wo ein Verwandter lebt, und gibt Antworten auf unsere Fragen zu Edward Snowden und Laura Poitras, zum Oscar und dazu, wie sich sein Leben verändert hat. Unprätentiös, wenn es um ihn geht. Emotional, sobald sich das Gespräch um Edward Snowden dreht oder um seinen Partner, der immer wieder regelrecht in Sippenhaft genommen wird und hier und da nicht einreisen darf. Völlig ohne Attitüden und Allüren – so ähnlich wie bei der Preisverleihung am nächsten Tag, nur ohne Schlips und Kragen und eben im kleinen Kreis.


Foto: Sabine Wachs

Der Sonntag in Homburg ist selbst für den Enthüllungsjournalisten, der Aufmerksamkeit gewohnt ist und inzwischen sogar den „Oscar“ eingeheimst hat, eine große Nummer. Denn noch nirgends, so erzählt er, sei er von so vielen Vertretern der herrschenden Parteien umgeben gewesen. Und noch nie hätte sich ein Regierungsmitglied in seine Nähe gewagt. Die vielen Fotografen und Kameraleute um sich rum ist Glenn Greenwald dagegen gewohnt, Spaß daran hat er aber nicht.


Foto: Ulli Wagner
Ganz still ist er und ins sich gekehrt. Bis sein Laudator kommt: Vizekanzler Sigmar Gabriel. Der hat nicht die frohe Botschaft im Gepäck, sondern erklärt auch noch, Deutschland dürfe Snowden schon rein rechtlich gar kein Asyl gewähren, sobald er deutschen Boden betrete, müsse er ausgeliefert werden. Das gefällt Greenwald genauso wenig wie manch anderen im Saal.  Aber immerhin lässt Gabriel durchblicken, dass es kein Ruhmesblatt für Westeuropa ist, wenn der Mann, dem wir so viele Wahrheiten verdanken, ausgerechnet in Putins Russland Schutz findet. Da müssten wir gemeinsam nach einer Lösung suchen, sagt der Vizekanzler. Dass er gehen muss, bevor Greenwald mit seiner Dankesrede fertig war, dafür kann Sigmar– die CeBit ruft und wir hinken im Programm hinterher. Aber immerhin haben die beiden ihre Kontaktdaten ausgetauscht. Und Greenwald verspricht, dass er seine Kernforderung: Asyl für Snowden in Deutschland und seine Auffassung, dass das rechtlich sehr wohl möglich ist, dem Vizekanzler noch einmal direkt übermitteln wird.


Foto: Jürgen Kruthoff
Glenn Greenwald zu erleben, war beeindruckend, erzählt die junge SR-Journalistin Sabine Wachs, die gerade ihr Volontariat hinter sich hat und sich hier, genau wie ich, das Buch „Die globale Überwachung“ signieren lässt.  Die Worte aus seiner Dankesrede, vor allem der Teil, in dem er erklärte, dass es nicht die großen und wichtigen Menschen sind, die die Welt verändern, sondern der „normale Bürger“, sind mir im Kopf geblieben. Jeder hat ein Recht darauf Fragen zu stellen, Dingen auf den Grund zu gehen, Ungerechtigkeiten anzuprangern.

Geduldig und mit knurrendem Magen signiert der Siebenpfeiffer-Preisträger ein Buch nach dem anderen. Viel Zeit zum Reden bleibt da nicht. Dabei sind da noch so viele, die noch so viel von ihm wissen wollen. Vor allem junge Leute. Denn für die sind Edward Snowden, Laura Poitras und Glenn Greenwald so was wie moderne Helden. Menschen, die das Allgemeinwohl über ihr eigenes stellen, stärkste Restriktionen in Kauf nehmen und den Mächtigen und ihren mächtigsten Instrumenten, den Geheimdiensten, auf die Finger schauen.

In der Regel gehen Siebenpfeiffer-Preisträger auch in Schulen und sind offen für Gespräche gerade mit der jüngeren Generation. Das hat Greenwalds Manager allerdings schon im Vorfeld abgelehnt. Am Samstagabend hat die Homburger Lehrerin Uli Bossung Glenn Greenwald ganz offen und ohne ihn unter Druck zu setzen gefragt, ob er sich ein Treffen mit Schülerinnen und Schülern vorstellen könne und er hat nicht gleich abgelehnt: „wenn es in den Zeitplan passt“, war die verströstende Antwort. Dass es ein solches Treffen, wenn überhaupt, nur ohne Presse geben wird, ist von Anfang an klar.

Am Sonntag haken wir noch mal nach und überlassen die weitere Vermittlung David Lindemann. Am Montagnachmittag stehen dann 12 Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrer und ich vor Greenwalds Hotel und warten auf den Preisträger, der am nächsten Morgen zur CeBit aufbrechen muss. Es wird kalt, aber keiner will aufgeben. Um 18:30 ist dann endlich klar: Glenn Greenwald wird sich die Zeit nehmen und Rede und Antwort stehen.


Foto: Jan Weißler
Ob er seinen Schritt bereue?, wie er gemerkt habe, dass er überwacht werde?, wie man sich am besten schützen kann? -  die Schülerinnen und Schüler sind nicht nur perfekt in Englisch, sondern auch inhaltlich gut auf dieses Treffen  vorbereitet. Die meisten haben auch schon Citizen Four gesehen, den Oscar-gekrönten Film über Edward Snowden und seine Freunde.

Nein, er bereue nichts, sondern sei bei allen Einschränkungen davon überzeugt, das Richtige getan zu haben. Man solle auch nicht paranoid werden und nicht jeder könne alle 6 Wochen den Laptop tauschen, wie er das mache, aber man solle es den Geheimdiensten und auch der Politik nicht zu leicht machen  „Die Geheimdienste wollen alles von einem wissen“, sagt Glenn Greenwald, ihr Auftrag lautet: „Collect it all“ und er ergänzt: „Mit Terrorabwehr hat das nur in den seltensten Fällen zu tun“.

Ich sitze stumm dabei und bin beeindruckt. Davon, wie gut die Schülerinnen und Schüler sich auf ihren Gesprächspartner einstellen und davon, wie der mit ihnen umgeht, wo der Termin doch gar nicht eingeplant war und sich eine Erkältung breitzumachen beginnt.

Stift und Block sind im Auto, ebenso wie das Aufnahmegerät. Als Journalistin blutet mir das Herz, aber ich bin ja als Privatperson da und habe meine alte Hundedame aus Spanien dabei. Das entlockt Glenn Greenwald dann doch ein Lächeln und Hera bekommt von dem Hundenarr noch eine extra Portion Streicheleinheiten.

Das gibt den Schülerinnen und Schülern die Chance, mal wieder auf den Boden zu kommen – nach dieser beeindruckenden und bewegenden Begegnung. Aber so ganz haben sie das bis heute nicht geschafft und etwas davon bleibt – wie bei mir auch!

Ulli Wagner
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